Logbuch

DAS MENETEKEL VON GELSENKIRCHEN.

Gelsenkirchen war mal die Stadt der tausend Feuer und Kernland der Sozialdemokratie. Rot und rechts, das ging vor Ort. Die SPD hat jetzt hier wie überall ihre Funktion einer Arbeiterpartei an die AfD abgegeben und kümmert sich nun unter einem neuen Namen von Hartz IV wieder um die Bürgergeldempfänger, ihre wahren Freunde aus dem Sumpf des sozialpolitischen Transfers. Tax&spend! Sie hat ihre historische Aufgabe damit schlicht verraten. So wie die CDU als Volkspartei schwächelt. Man weiß nicht so recht, wofür diese laue Lächler Merz steht.

Die alten Römer pflegten vor politischen Fragen von Gewicht ein Besäufnis mit ihren Kontrahenten abzuhalten, da sie glaubten, der Mensch verliere, wenn besoffen, die Fähigkeit zur Verstellung. So wollte man den Intriganten ertappen. Man hoffte, seine wirklichen Absichten zu erfahren, bevor es zu spät war, also der Pakt geschlossen.

Wäre das nicht ein guter Rat an jene Konservativen in der Union, die nach einem Weg suchen, sich der Reaktionären bei der AfD zu bedienen, um so eine Regierungsmehrheit zu erlangen? Schließlich hat mit gleichem Kalkül die FDP den Hasch-Konsum legalisiert; man wollte testen, wie liberal die Grünen sein können, wenn bekifft. Scherz beiseite, Volker Wissing weiß, warum Christian Lindner nix getaugt hat.

Vielleicht erweisen sich die Blau-Braunen, einmal richtig abgefüllt mit Bier und Korn aus dem Sauerland, als wahre Demokraten und damit anschlussfähig. Vielleicht sind sie aber auch besoffen Meister der Verstellung und man entdeckt erst viel zu spät die Wahrheit in der Brechtschen Warnung davor, dass der Schoß fruchtbar noch, aus dem das kroch.

Mir sind alle Normalisierungen des Faschismus zuwider. Andere mögen da flexibel sein; ich bin es nicht. Ich anerkenne, dass man seine jugendliche Bewunderung von Mussolini in weniger braune Gesinnungen überführen kann; vielleicht sogar rechte Parteien in die politische Mitte führen, wie das Giorgia Meloni geschafft haben soll. Ich höre Jens Spahn aber irritiert zu, wenn er die Vorzüge der christlichen Familie schildert. Ich kann den nicht leiden. Vermute nämlich, dass er sich, krude Vorstellung, demnächst mit Frau Weidel ins Bett legen möchte. Krampfige Konfiguration. Aber das alles ist nicht mein Milieu.

Ich habe keinen Bedarf an der Volksgemeinschaft, die da rechts der Mitte einen autoritären Staat mittels populistischer Fremdenfeindlichkeit mehrheitsfähig machen will. Ich hätte es lieber liberal, auch nachdem die Lindnersche FDP den Begriff vollständig diskreditiert hat. Aber das ist wohl zu nüchtern. Gelsenkirchen wird zum Modell der Republik. Ein Menetekel. Prost.

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DIE MUSKELN SPIELEN LASSEN.

„Un pour tous, tous pour un!“ Sie imponierten mir, die kräftigen Männer, die sich DIE DREI MUSKELTIERE oder so nannten. Romantik der Mantel&Degen-Literatur. Und der Tommy im Sherwood Forest mit dem Prinzip des Deos: Er raubt es von den Reichen und verteilt es unter den Armen. Pun intended.

Als Kind las ich, mehr zufällig denn einem besonderen Interesse folgend, etwas über Robin Hood und die seinen. Auch von anderen Räuberbanden des Schinderhannes konnte man erfahren, was diese Halodris so zusammenhielt. Die Eidgenossen aller schweizerischen Täler sollen sich das Gleiche geschworen haben. Und natürlich die genannten DREI MUSKELTIERE im französischen. Bedeutet: „Alle für einen, einer für alle!“ Für die Lateiner unter uns: „Unus pro omnibus, omnes pro uno!“

Spaß beiseite. Was macht SOLIDARITÄT aus? Eine Loyalität untereinander, die keiner umständlichen Begründung bedarf. Ich höre aus den rauen Kehlen englischer Hooligans das „You never walk alone.“ Man sagt den Freimaurern so etwas nach. Oder den Flagelanten von Opus Dei. Am überzeugendsten für mich noch bei der FREMDENLEGION: „Man lässt niemals Kameraden zurück oder Waffen“. Damit sind wir im Militärischen und bei dem berühmten Bündnisfall der NATO, dem Prinzip der Kollektivverteidigung.

Wenn einer angegriffen, sind es alle. Was mir daran besonders gefällt, ist, dass der Bündnisfall bindend der Einstimmigkeit bedarf. Und zwar unabhängig von der Größe der Einzelnen. Vielseitig und einstimmig. Wer das bei Mantel&Degen aufgibt, der ist ein Verräter. Der Ehrverlust ist dann im Sherwood Forest beträchtlich. Kann das mal jemand in einfaches Amerikanisch übersetzen?

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MÄRCHENERZÄHLER.

„Ach, wie gut, dass niemand weiß, wie ich heiß!“ Neues vom Märchenonkel. Oder von der wunderbaren Prinzessin Scheherazade aus Tausendundeiner Nacht. Oder der Professorin für Geschlechtergerechtigkeit in der angewandten Mathematik. Oder aus der grundgrün gestimmten ZEIT.

Wir sollen angeblich im Zeitalter der Märchen leben, vor deren Gift uns Faktenchecker bewahren wollen. An diesem angeblichen Zustand des Zeitgeistes stört mich so gut wie alles. Viele üble Märchen über Märchen. Go woke, get broke.

Zu allererst befremden mich politisch ambitionierte Menschen, die die Wahrheit zu ihrer Profession machen. Sie gefallen mir in keiner Ausprägung, weder als Investigativjournalist oder zivilgesellschaftliches NGO noch als Spanische Inquisition. Man entwickelt bei einigem historischen Studium ein Gefühl für Märchen, die sich als höhere Wahrheit verstehen. Sprich eine tiefe Abneigung.

Die Brüder Grimm wollten dem zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf den Grund gehen und sammelten, was sie Kinder- und Hausmärchen nannten. Dabei nährten sie die Illusion, uralte Bäuerinnen hinter‘m Herd belauscht zu haben, als diese ihre Enkel und Urenkel in die mythische Welt entführten. Archaische Wahrheiten. Das war idyllisch, aber leider gelogen.

Die Geschichten stammten von gebildeten Fräuleins und gehobenen Hausmädchen frischen Alters, die überambitioniert nacherzählten, was ihnen zuvor des Knaben Wunderhorn so vermittelt hatte. Pun intended. Zum Teil waren sie nicht mal hessischen Ursprungs, wie die Göttinger Grimm-Familie, sondern zugewanderte Hugenotten. Man referierte die romantische Trivialliteratur seiner Zeit, die sich archetypisch gab.

Daran erkennt man Märchen, dass sie in fremdem Gewand ganz alte Mythen zu neuem Leben erwecken. Wenn es zu gut passt, stimmt was nicht. Ich habe nie geglaubt, dass COVID von Fledermäusen stammt, weil klar als Märchen kenntlich. Hätte man behauptet, dass Bambis die Quelle, wäre ich ins Zweifeln geraten. Aber nicht bei so einer Graf-Dracula-Klamotte. Das passt einfach zu gut.

Wir erzählen uns in den Märchen in jeweils neuem Gewand die Grundmythen, die unsere Kultur ausmachen; neudeutsch schwätzt jeder Provinzpolitiker neuerdings von Narrationen. Wir sind Nacherzähler, wenn wir gut zu erzählen wissen. Deshalb frage ich Studenten, die etwas von Storytelling plappern, ob sie bibelfest sind oder ihren Homer kennen. Oder KHM. Das ist der Code für Kinder- und Hausmärchen.

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Schluss mit Schlecker und Soli finito: Das Ende der Auffanggesellschaft

Der Ruf nach Vater Staat erklingt immer zur falschen Zeit. Er soll auffangen, was schon gefallen ist. „Papa Staat, mach es ungeschehen, fange uns zumindest auf!“

Die Kinder, die bereits im Brunnen  sind, erheben ihre Stimme.  Wenn die Geschichte endlich jene straft, die notorisch zu spät kommen, soll plötzlich Solidarität walten. Da soll dann die Politik Herz zeigen. Es wäre besser, wenn sie früher Verstand annähme. Natürlich gehört der Soli abgeschafft und Schlecker abgewickelt. Oder wollen wir das Modell Nürburgring national wiederholen?

Wenn den Deutschen was einfallen soll, bauen sie Autobahnen. Dann kurbelt die so verballerte Staatsknete die Konjunktur an. Und alles ist wieder gut. Wenn der strohdumme Metzger Schlecker seine Kramläden an die Wand fährt, dann behält der Multimillionär sein Vermögen und die Verkäuferinnen werden staatlich aufgefangen. Wenn die Mineralölgesellschaften demonstrieren, was Marktwirtschaft ist, dann kompensieren wir das durch eine Erhöhung der Pendlerpauschale. Auch die FDP fordert: Volltanken auf Kosten der Allgemeinheit.

Reise durch Deutschland. Im Westen von Schlagloch zu Schlagloch. Im Osten über nagelneue Highways. Zwischen Frankfurt an der Oder und Frankfurt am Main liegt meine Vaterstadt Oberhausen. Einst ein Juwel, jetzt ein Ghetto. Hier stand im 19. Jahrhundert die Wiege der Montanindustrie. Kohle und Stahl ermöglichten einen beispiellosen industriellen Aufschwung. Das rückständige Germanien wurde zum ernsthaften Konkurrenten Englands. Hier gingen stolze Proletarier wie ihre Meister wie Beamte  sonntags im weißen Kragen, während in Bayern und Schwaben die Bauernsöhne verhungerten. Gewonnen und zerronnen.

So finster wie heute an der Ruhr, sah es nach der Wende im Osten aus. Eine Zentralverwaltungswirtschaft war implodiert: in sich zusammengefallen.  Blühende Landschaften hatte der Kanzler der Einheit den Ossis versprochen, wenn sie vom Kommunismus ablassen und, so im Westen angekommen,  von den Sozis. Ein Instrument, diese Auffang-Lüge wahr zu machen, war die Solidaritätsabgabe, Soli genannt, die den Aufbau Ost durch eine Sondersteuer finanzierte. Im Ergebnis gibt es tolle Autobahnen. Mal wieder.

Die Kramläden des Anton Schlecker und die heruntergekommenen Kommunen an der Ruhr haben eines ganz sicher gemeinsam: Sie haben die Zeichen der Zeit verschlafen. Sie haben versucht, dem notwendigen Wandel zu entgehen. Durch Starrsinn, Kirchturmsdenken und mittels Griff in die Kasse. In welche Kasse? Nun, in unsere. Steuergelder, das will in Deutschland niemand begreifen, sind gestohlene Löhne und Gehälter: „taxpayers money.“

Griechenland ist überall. Man kann, so dürfen wir lernen, nicht ungestraft mehr ausgeben, als man verdient. Und die Hilfe von Vater Staat, die er aus Krediten finanziert, ist keine. Das Geld wird unseren Kindern und Enkeln fehlen. Deren Erbe ist tiefrot, bevor diese überhaupt Kindergarten und Schule verlassen haben. Und die Banken, bei denen man sich verschuldet hat, zeigen, dass sie bei Geld keinen Spaß verstehen. Aufgabe staatlicher Souveränität.

Das Ruhrgebiet ist ein gleichförmiges Sammelsurium von selbstbezogenen Kommunen, die ihre Kirchturmspolitik verteidigen. Die Ruhr könnte eine Metropole sein, ist es aber nicht.  Gemeinsames Marodieren macht noch keine Metropole. Aus zwei oder drei Dutzend Einbeinigen  wird kein Marathonteam, nur weil es immer noch eine stattliche Zahl an Beinen ist, statistisch gesehen.  Nabelschau statt Blick in die Welt. Es fehlt die politische Kraft zu einer wirklichen Differenzierung. Wie bei den Schleckerläden: viele kleine Klitschen, alle nach demselben Muster. For you. Vor Ort.

So wie viele miese Schleckerläden noch kein tolles Einkaufszentrum ausmachen, so wird aus vielen miesen Kommunen noch  keine Metropole. Und Zauberworte wie Kreativwirtschaft wie Wissengesellschaft bewirken nur ein Fortdauern des dösigen Dösen. Schlecker hat jetzt einen Insolvenzverwalter. Dem Ruhrgebiet steht das bevor. Und dieser Prozess ist nicht durch das Subventionskarussell aufzuhalten.  Wollen wir nicht auf der ewigen Kirmes der Auffangbemühungen verblöden, brauchen wir einen anderen Staat.

Statt Pflaster zu verteilen zu den Wunden, die die Zeit geschlagen hat, muss ein starker Staat den Wandel beschleunigen. Wenn er die Märkte nicht bremsen kann, muss er sie leiten und beschleunigen. Es macht keinen Sinn, sich mit Subventionen gegen den Strukturwandel zu stemmen, man muss ihn in die richtigen Bahnen leiten. Wenn man aber die Schleckers nicht zwingen kann, ihr Elend einzusehen, dann muss man sie halt vor die Hunde gehen lassen. Unter Verlust des zusammengeklaubten Vermögens. Und an Rhein und Ruhr muss die kommunale Selbstverwaltung geknackt werden. Ein ins Lächerliche dezentralisierter Staat ist keiner. Schluss mit dem Schrebergartendenken. Keinen warmen Regen auf die Kommunen durch einen Soli West, sondern eine einheitliche Metropolregierung.  Kehraus im Rathaus. Oder es kommt die Treuhand West. Dann wird die Ruhr nicht aufgefangen, sondern abgewickelt. Siehe Schlecker.

Quelle: starke-meinungen.de