Logbuch
AUS PERU IN DEN ANDEN.
Wir haben einen Papa. In Latein: Habemus papam. Ja, aber was für einen? Zwei hilfreiche Anmerkungen zur Papstwahl, sprich zu Leo XIV, dem Stellvertreter Christi, den sie aus einer Mission in Peru nach Rom geholt haben. But there is more to it!
Es war klar, dass im Konklave ein tiefer Zorn über die billige Anmaßung des amtierenden amerikanischen Präsidenten herrschte, sich selbst im Habit des Papstes zu zeigen, ein gefälschtes Foto, dessen Humor sich jedwedem Menschen jedweder Kultur verschließt. Man kann es als Gotteslästerung lesen. Vor allem aber gehört es zur DNA des Vatikans, solche Ansprüche weltlicher Macht auf die Stellvertretung Gottes zurückzuweisen. Jahrhunderte hat man das müssen.
Zudem hatte Trump sich in der Papstpose, Photoshop sei dank, mit normal großen Händen versehen. So tief kann Narzissmus sitzen. Aber das Stigma der „tiny hands“ gehört zu den Niederungen der politischen Propaganda, die hier und heute keine Rolle spielen soll. Es ist, wie Kipling sagt, eine andere Geschichte. Jedenfalls wollte Rom zeigen, dass es auch Amerikaner von Format gibt. Deshalb ein Papst aus Detroit am Eriesee. Gut so. Das ist gelungen.
Der zweite Hinweis ist bedeutender. Leo XIV ist Augustiner. Auf den Jesuiten auf dem Stuhl Petri folgt ein Augustinermönch. Er sagt das in seiner ersten Predigt im neuen Amt ausdrücklich, dass er ein Kind des Augustiners sei. Nun muss man sich nicht mit der Geschichte der mittelalterlichen Bettelorden auskennen, um den Ausruf „ein Augustinermönch!“ schon mal gelesen zu haben. Sie galten ja als evangelisch und apostolisch, meint als in Armut lebende Missionare. Und Intelligenzbolzen. Ein Augustiner also.
Nun, die Zuschreibung war ein Spottruf aus dem machtbewussten Rom gegen einen Abtrünnigen, der sich über die Finanzierung des Petersdoms mittels Ablasshandel empörte. Ihn wollte man damit deklassieren, was seinen Trotz nur noch steigerte. Hier stehe ich und kann nicht anders. Der Augustinermönch, das war Martin Luther. Das finde ich urkomisch. Deshalb rufe ich dem neuen Herrn der Unfehlbarkeit vom Eriesee in Michigan fröhlich zu: „I wish you well!“
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DIE NEUE MITTE UND IHR FÜRST.
Ich habe Fragen. Der SPD-Vorsitzende und Vizekanzler Lars Klingbiel hat gestern im Fernsehinterview gesagt, er (!) sei dafür verantwortlich, dass Friedrich Merz im zweiten Wahlgang dann doch die erforderliche Mehrheit erzielt habe und das habe er (!) aus der „demokratischen Mitte“ des Parlaments gestaltet. Il Príncipe, der Fürst. Jedenfalls der Fürstenmacher.
Erste Frage: Wie hat er das gekonnt? Was ist denn da gelaufen? Zweite: Seit wann gehört die SED-Nachfolge-Partei, die als LINKE firmiert, zur Mitte? War es nicht in Wirklichkeit so, dass die Abwehr der AfD inzwischen vieles bestimmt? Damit wären die Rechtsextremen ex negativo im Einfluss. Paradoxe Wirkung. Vielleicht ist das ja gut so, weil der sogenannte Kampf gegen Rechts eine so hohe Priorität haben muss; sicher bin ich aber nicht. Jedenfalls ist die neue Topographie bipolar: alle sind Mitte, die Rechten die Peripherie.
Überhaupt ist erstaunlich, wie groß der Einfluss des Wahlverlierers SPD auf diese Kanzlerschaft eines CDU-Kanzlers ausfiel. Ich habe sehr genau registriert, dass der neue konservative Kanzler nach seiner dann geglückten Wahl, die SPD-Vorsitzende Saskia 0hne Amt Esken im Parlament geküsst hat. Alta. Die CDU als Pudel der SPD.
Als Genie politischer Gestaltung muss fürderhin Lars Klingbiel gelten, ein Machiavelli unserer Tage; dazu habe ich keine Fragen, ich staune halt nur. Ein Magier der neuen Mitte, zu der alle gehören, die nicht zu Weidels Truppen zählen. Unvereinbarkeit zur Links-Partei dahin. Schuldenbremse vergessen. Prosperität auf Pump. Schmusen mit Saskia. Und das alles hält die Union aus?
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HURZ.
Die Kommentatoren des politischen Berlin rufen Olaf Scholz nach, er sei der wahrscheinlich schlechteste Kanzler gewesen. Das finde ich nicht so ganz gerecht, aber als Urteil möglich. Für den Großen Zapfenstreich hatte er sich als Leib- und Magenmusik Beziehungsreiches gewünscht. Der Mann ist selbst im Emotionalsten noch piefig. Er selbst hält das für norddeutsch. Hanseatisch geht anders.
Es gab Bach und etwas aus den Brandenburgischen Konzerten, weil in Brandenburch sein Wahlkreis. Logo. Etwas von den Beatles als Geste an die Gattin. Poesiealbum für Rentner. Dann etwas, das einem Wahlkampfmotto entsprach, allerdings aus dem schwarzen Soul. Ganz daneben. Gut gemeint ist nicht gut gemacht, schon gar nicht genial.
Gedankenexperiment. Was ich mir gewählt hätte? Wenn ich es zu was gebracht hätte und mir einen Zapfenstreich verdient? Nun, von Willy Nelson den HIGHWAYMAN. Dann, weil Klassik muss auch, HURZ von HP Kerkeling. Schließlich Mickey Krause mit JAN PILLEMANN OTZE. Da hätten die Kommentatoren gesagt: Ja, das passt.
Auf CIAO BELLA CIAO wäre, weil aus der Zeit gefallen, natürlich zu verzichten, da Frau Meloni nicht auf Seiten der Partisanen gekämpft hätte, so wie Frau Weidel nicht beim Widerstand gewesen wäre oder Frau LePen in der Résistance. Und die Amis lieber einen Deal gemacht. Das aber ist, wie Kipling sagt, eine andere Geschichte.
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Moral als Waffe: von der Logik der Säuberungen aus nichtigem Anlass
Es ging um eine alberne Petitesse, aber eine peinliche. Leider hatte Richard, der Rächer, so hieß er damals, daraus keine Schlinge knüpfen können, die er im Blatt über einen Galgen werfen konnte. Der Magazin-Journalist, den ich meine, stand in seinem Regionalbüro und schlug mit der Faust an die Wand: „Das Schwein kriege ich noch!“ Man hatte ihm in der Zentrale seine Meinung kaputtrecherchiert; leider für ihn somit ein Halali ohne Beute.
Seine Kollegen erinnern sich an diesen Moment bis heute als Beginn ihres Befremdens darüber, wie weit Presse gehen sollte. Mittlerweile erleben wir, dass sich der Säuberungswille auch auf die eigene Berufsgruppe richtet. Es gibt jetzt – ganz selbstbewusst und mit erhobener Stimme – Krähen, die den anderen ein Auge aushacken. Aus berufsethischen Gründen, sagen sie. Sie nehmen dafür öffentliche Ehrungen an. Das Leben sei kein Ponyhof, heißt es.
Mit den Gepflogenheiten in Reitschulen kenne ich mich nicht aus. Als Gewerkschaftler ist mir der ganze Angang suspekt. Aber gut, das Leben ist sicher kein Debattierklub.
In Oxbridge lernt man zu streiten, ohne sich zerstören zu wollen. Man ist anderer Meinung, man schmäht schon mal spielerisch, aber man ächtet nicht. Das hält dieser Kampagnen-Journalismus anders. Er will erniedrigen und sich selbst erhöhen. Das ist der Kausalnexus der Übung: Selbstinszenierung als moralisch erhaben. Weiße Engel fliegen durch die Hölle. Und die Engel verbitten sich, dass man ihnen falsche Motive unterstellt. Es gehe ihnen um Sauberkeit, um nichts sonst. Sie sind ja die Sendboten Gottes. Räumen wir ein: Es geht den Inquisitoren nicht mehr um Leib oder Leben ihrer Opfer. Nur um den Ruf und den Job. Diese Inquisition zündet nur symbolische Scheiterhaufen an, sie ächtet die modernen Hexen und Ketzer, aber bringt sie nicht um. Soviel zum Fortschritt.
Die Säuberungswellen, die auf der Basis von wirklich beiläufigen Verfehlungen prominenter Opfer durch die Medien laufen, befremden mich immer mehr. Ja, da hat eine ihren Dienstwagen missbraucht oder einer ein Hotelzimmer geschnorrt oder im Flieger drei Reihen zu weit vorne gesessen. Deshalb muss ich ihn als Politiker outen, als Manager diskreditieren oder gar als Kollegen denunzieren?
Herdentrieb als Aufklärung getarnt: Die Meute beobachte sich in lauernder Hysterie selbst. Sie achte dabei durchaus auf Feinheiten, auf Nuancen der Abweichung. Die Inbrunst, mit der die anderen, alle anderen, vor allem aber jene, die zu Neid Anlass geben, zur Beobachtung anstehen, erkläre sich daraus, dass die Konformität Zeichen des Heils und die Abweichung der Vorbote größten Unheils sei. Ist ein Abweichler entdeckt und das delinquente Detail zur Menschheitsfrage aufgeblasen, wird er hinausgebissen aus der Meute. Er darf nun als Sündenbock in die Wüste getrieben werden, womit die Oase der Konformität wieder rein ist. Das ist die Logik dieser Säuberungen aus nichtigem Anlass.
Verhältnismäßigkeit ist hier kein Argument, weil der Zweck die Mittel heiligt. Die Sittenwächter sind moralisch rigoros. Das wirklich Monströse liegt in der Diskrepanz zwischen Vergehen und Strafe. Ein Fleck auf der weißen Weste wird entdeckt, und der Westenträger steht zur bürgerlichen Ächtung an. Es fehlt ein wenig an Humanismus, an christlicher Gesinnung, an rheinischer Gelassenheit, an westfälischem Wegschauen, an Liberalität, an mitmenschlicher Nachsicht, an Vergebenwollen…stattdessen eine Spur von Rache, Vergeltung… und zwar bei wirklich banalen Anlässen. Und vom Publikum dieser Teufelsaustreibungen wird Unterstützung verlangt. Wer nicht für uns ist, knurren die Leitwölfe aus ihren Schafspelzen, ist gegen uns.
Unser Chef-Philosoph, der berühmte Professor aus Karlsruhe, begründet das moralische Halali dieser medialen Treibjagden mit dem Unbehagen in der Kultur, eine Vorstellung von Sigmund Freud, ein tiefes Unbehagen an unserer Kulturisation, das sich atavistisch zu entladen sucht. Und weil er belesen ist und gebildet, holt er die ganz große Keule raus. Er wird historisch grundsätzlich: „Nur in der jakobinischen Phase der Französischen Revolution, in der völkischen Revolution der Deutschen und in der Russischen Revolution sah man das Phänomen, dass Kinder aufgefordert wurden, ihre Eltern bei den Instanzen der volonté générale zu denunzieren.“ Es handle sich um „moralgeschichtliche Singularitäten“, an die man hier erinnert werde.
Die Erinnerung an den Terror des Robespierre verortet die Säuberung dort, wo sie ethisch hingehört: außerhalb einer humanistischen Kultur, außerhalb des Christentums, außerhalb der Aufklärung und außerhalb einer demokratischen Zivilgesellschaft. Säuberungen gehören als politisches Konzept in das Verhaltensspektrum des Wolfsrudels: homo homini lupus. Es mag vielleicht große Verbrechen geben, die die Guillotine rechtfertigen; ein lächerlicher Spesenbetrug gehört sicher nicht dazu. Nicht in jener Welt, in der ich leben möchte.
Quelle: starke-meinungen.de