Logbuch

SCHWARZ-GRÜN.

Zu den Vorurteilen, mit denen ich groß geworden bin, gehört jenes, nach dem der hässliche Deutsche Ösi ist. Das war natürlich nicht gerecht, aber es amüsierte mich und reagierte auf einen Schrecken. Ich hörte im Wiener Kaffeehaus Sprüche zu jener Melange aus Rechtem, Reaktionären und Judenfeindlichkeit, die mich prinzipiell schrecken. Dass sich diese Herrschaften „freiheitlich“ nennen, kann mich nicht täuschen; sie sind nichts weniger als das.

Das Liberale hat nun wahrlich keine Heimat im schwarzbraunen Milieu, das sich blau nennt. Das Liberale als Refugium des Individuums ist ohnehin eher selten geworden. Stattdessen gewöhnen wir uns europaweit, wenn nicht im gesamten Westen, an ein gutes Drittel für die Damen Le Pen, Meloni und Weigel. Bei den Ösis sind die blauen Reaktionäre neuerdings stärkste Fraktion der Nation.

Gleichzeitig haben sich die Sozialdemokraten und die Freidemokraten in meinem Vaterland marginalisiert; beides nur noch Episoden, die ihren angestammten Wählern nichts mehr sagen. Auf dem Land schließt das die Grünen ein. Was mal als Horte sozialliberaler Werte galt, ist jedes für sich eine leere Hülle. Fast die Hälfte der Wähler votierte früher mal hier, wenn nicht eine klare Mehrheit, wo heute zwischen 1 und 15% oszilliert wird. Wenn es das Liberale noch im Sinne der alten Euphorie gibt, hier wohnt es nicht mehr in der Beletage.

In das Haus der Demokratie ziehen neue Mieter. Ich wage einen Gedanken. Wenn die Grünen den Schwarzen das Reaktionäre abgewöhnen könnten und die Schwarzen den Grünen das Totalitäre, wäre dann mit Schwarzgrün eine halbwegs liberale Republik möglich? Dass jemand meiner biographischen Zurichtung eine solche Frage überhaupt wagt, ist schon überraschend; jedenfalls für mich selbst.

Und ich will einräumen, dass es ein Killerargument gibt, mindestens eines. Dies soll schon ein Plan von Merkel und Trittin gewesen sein. Dazu merke ich an, dass die Merkelsche Permissivität im Eregnis reaktionär war und der Trittin immer totalitär. Kann gelingen, was Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein politisch in ihren schwarzgrünen Kabinetten erproben? Bayern sagt nein. Alle Fragen also offen.

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DER COWBOY UND DIE INDIANERIN.

Wieviel Sprachen es wohl geben mag? Die Frage stellt sich ja nach der Rache des Herrn wg. Turmbau zu Babel und Einführung der Babbel-App. Wir reden von Nationalsprachen (nicht bloß Mundarten) und wir reden von heute (historische Varianten ausgeblendet), also im Sinne einer synchronen Linguistik. Es sind gut siebentausend, eine Menge Holz.

Und in welcher Stadt werden davon noch gleichzeitig die meisten gesprochen? Wo ist das Polyglotte zu Haus? Noch immer in New York, der Metropole der Migration. Hier landeten auch die bettelarmen Pfälzer an, die dann durch Mietschwindel und Prostitution ein Vermögen machten, bis ihr Enkel den Trump-Tower errichtete und als TV-Pop-Star der neuen Rechten Präsident wurde. Aber das mit dem „weird old white man“ ist, wie Kipling sagt, eine andere Geschichte.

Wie liberal New York schon bei der Einwanderung auf Ellis Island war, berichten zugewanderte Juden aus Russland oder Germany. Man empfing sie mit einem Beamten, der Yiddisch sprach; was Stalin wie Hitler ihnen verweigert hatte, das Recht auf eigene Zunge. Die Metapher des Melting Pots erzählt eine Wahrheit und zugleich eine Lebenslüge; man blieb zunächst in seinen Milieus. Es gab jüdische Viertel, Chinatown, italienische und verschiedene schwarzafrikanische, you name it. Die USA ist noch immer nicht mit sich im Reinen, die zugewanderte Sklavenhaltergesellschaft.

Und in den Gettos erhielt sich lange die Muttersprache. Das Englische der neuen Heimat wurde daraufgesetzt, oft radebrechend, gelegentlich mit Assimilationen, etwa im „Spanglish“: „Apera la fucking puerta please!“ Dabei fällt mir etwas auf, dass wohl alle Migrationskulturen auszeichnet. Auch wenn man vom Mutterland verstoßen wurde, wird die Muttersprache zu einer heimlichen Geliebten, während man in den Armen der neuen Braut liegt. Migration pflegt eine eigene Sentimentale zur Heimat. Und bildet gerade daraus eine frische Kraft zur Behauptung in der neuen Welt. Das ist, was das beherzte Lachen der Kamala Harris konnotiert. Dagegen wird der böse alte Mann mit seiner Zynik über die kinderlose Katzendame (Zitat) nicht ankommen.

Das ist vielleicht ein eigener Segen der Sprachverwirrung, sie erhält die Unterschiede der Herkunft, auch wenn eine lingua franca angesagt ist. Damit tradiert diese Zweisprachigkeit Geschichte und Identität. Ups, das klingt etwa woke, oder? Aber in einer Welt, in der die Normalität im Habitus eines John Wayne liegen soll, der breitbeinig den Saloon beherrschen will, da mag ich von der Squaw reden, die Chief werden könnte. Wie heißt die noch bei Karl May?

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AFFENTHEATER.

Wer der Demokratie schaden will, diskreditiert das Parlament. Denn im Herzen einer Herrschaft des Volkes steht der Ort, wo seine Abgesandten sich darüber verständigen, was es denn nun wirklich will, das Volk, der Souverän. Das ist kein geringes Unterfangen und es braucht Würde. Das freie Wort frei gewählter Abgeordneter, die nur ihrem Gewissen verantwortlich sind. So ist der Kern unserer Verfassung gedacht.

Das galt mit der Ting-Eiche schon immer. Von der griechischen Polis über das römische Forum bis in die Nationalversammlung der Franzosen oder das englische Westminster: Es braucht einen Ort, wo aus dem Willen der Vielen im Wettstreit freier Auffassungen ein Gemeinwohl wird. Habermas nennt es deliberativ. Versteht kein Mensch, ist aber klug. Nur kein Affentheater.

Als unsere Diktatoren noch aus dem Adel kamen, sagen wir zu Zeiten von Wilhelm dem Zweiten, gab es Verächtliches aus Hochwohlgeborenem Munde: eine QUASSELBUDE sei das Parlament. Ihro Gnaden sprach gar vom REICHSAFFENHAUS. Böse, aber das gefällt mir, weil es Klartext ist. Joseph Goebbels gefiel es auch. Der nächste Zoo war dann Weimar! Das wiederum zeigt, an welcher Idiotie sich in Thüringen die CDU beteiligt. Man muss das mit den Augen des Publikums betrachten, nicht denen der Schauspieler.

Was Königsdisziplin der Demokratie sein sollte, Staatstheater, nicht Posse, das nutzen sie, die Christdemokratischen Schlaumeier um den Landesvorsitzenden Diederich Hessling, zu einer Pöbelei mit einem Greis der AfD. So füllt man deren Vorwurf zum Charakter der Altparteien mit Inhalt. Die Kanzlerkandidatin Alice Weidel ist im Wunderland: Es heben die „nützlichen Idioten“ (Lenin) der CDU sie auf den Thron. Oder Sarah Lafontaine-Wagenknecht (der ich das mit Lenin nicht erklären hätte müssen). Oder beide.

Die Schergen von Fritze Vor-März, dem Rocker aus Brilon, sind Deppen. Es folgt ein Hexensabbat. Wäre die grüne Fee im Auswärtigen Amt nicht so granatendumm, man hätte zur nächsten Bundestagswahl drei Epigoninnen von Mutti Merkel zur Wahl: Annalena, Alice und Sarah. „When shall we three meet again…“ Denn das ist das Merkelsche Erbe in Wahrheit, ein Zirkus, ein Zoo. Weimar wird wieder zur Walhalla. Read my lips.

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Rübe ab, einsperren, Schlüssel wegwerfen: Neues von Law & Order

Thilo Sarrazin in der Verkleidung eines schwarzen Zuhälters, denke ich, als ich in das Gespräch meiner Nachbarn hinein höre. Die Sprüche des deutschen Stammtisches kann man also auch im Ausland vernehmen. Die bunte Truppe am Nachbartisch intoniert: „Lock the gangsters up und throw away the keys!“ Wir sind im industriellen Herzen Englands, den West Midlands, wo Bandenkriminalität als Kehrseite von Multi-Kulti erscheint.

Die Sarrazinschen Horrorszenarien hatten Birmingham eingeholt, bevor sie in Berlin überhaupt aufschienen. Vor zehn Jahren gab es hier zweimal am Tag einen Schusswechsel im Migrantenmilieu. In die entsprechenden Vororte ging man nicht nach Einbruch der Dunkelheit. Aber Ausgrenzung und Bestrafung lösten das Problem hier so wenig wie in New Jersey, der Heimat berühmter Bandenkriege.

Das ist Thema in Birminghams Island Bar, einer knallvollen Cocktail Lounge, die offensichtlich keine Kleidervorschriften macht. Die Herrschaften um den Pimp-Sarrazin sind so bunt und lasziv gekleidet, dass man sie eher einer Punkband zurechnen würde. Sie sprechen lautrein das proletarische Englisch der Midlands, ihre Familien stammen offensichtlich ursprünglich aus afrikanischen, indischen und sonstigen asiatischen Ländern. Und ich habe mich verhört. Man fordert nicht Rübe ab, sondern macht sich über solche Forderungen lustig.

Mit seinen neuen Waffengesetzen will der amerikanische Präsident einen zweiten Versuch unternehmen, europäisches Denken in den USA einzuführen. Erst eine vernünftige Krankenversicherung, jetzt eine Entmilitarisierung der Zivilgesellschaft. Das sind Vokabeln, die mich endgültig erstaunen. Die Punker sprechen die Sprache europäischer Sozialpolitik. Sie erinnern sich an den Spruch des damaligen französischen Präsidenten, dass man den Schmutz mit dem Kärcher aus den Vororten vertreiben müsse, mit bitterem Humor. Gemeint waren die Jugendgangs von Einwanderern.

Da meine mithörenden Ohren inzwischen eine Größe wie beim afrikanischen Buschelefanten erreicht haben, mein Interesse also bemerkt wird, bittet man mich und meinen Kumpel an den Nachbartisch. Es haut uns um. Die YMCA-Truppe sind Beamte auf einem Absacker nach Dienstschluss. Willkommen bei den Jungs und Mädchen vom West Midlands Mediation and Transformation Service. Sie sehen aus wie ihre Kunden, sagen sie. Das kann ich jetzt bestätigen. Wir wirken in unseren Geschäftsanzügen in der Runde wie Pinguine im Zoo. Eine wirklich wilde Vorstadt-Gang in Begleitung ihrer Anwälte.

In den letzten zehn Jahren haben sich die „gun crime incidents“ von über siebenhundert im Jahr auf weniger als dreihundert mehr als halbiert. Aus vier, fünf ernsthaften Schießereien am Wochenende ist jetzt eine geworden. „Still one too many!“ Die Sensation liegt in der Begründung für den Rückgang: Es ist nicht mehr die Polizei, die sich um die Probleme kümmert, jedenfalls nicht vorderhand. Alle Verantwortlichen der Kommune haben sich an einen Tisch gesetzt und eine gemeinsame und vor allem neue Strategie beschlossen, die auf einer ungewöhnlichen Überzeugung beruht. Law & Order hilft nicht als alleiniges, schon gar nicht als erstes Rezept.

Aus allen Militarisierungen der Parallelgesellschaften kennt man die sich aufwärtsdrehende Spirale von leichten zu mittleren zu schweren Delikten. So rückt Organisierte Kriminalität vom Rand in die Mitte der Gesellschaft. Die volle Wucht der Strafjustiz, sagt mein Sarrazin-Zuhälter, ist eine Bildzeitungsillusion („tabloid illusions“), die die reaktionären Gemüter beruhigt, aber das Problem vergrößert. In Birmingham kümmern sich Mediatoren um die Kommunikation zwischen den Gangs, um die Kultur der Vororte. So wird aus einer (empfundenen) Respektlosigkeit keine Schießerei, aus einen Gerangel kein Krieg. Im Idealfall.

Der baumlange Baseballspieler mit westindischem Hintergrund zeigt sich endgültig als Sozialarbeiter, als er mir vorrechnet, dass ein einziger Mordfall ein bis zwei Millionen Pfund an Aufklärungskosten verzehre, die Verhinderung nicht mal ein Zehntel koste; wohl gemerkt, die Verhinderung von 300 Gang-Morden kostet nicht ein Zehntel, fügt er an. „To be fucking clear, mate:  We are spending taxpayer‘s money to save taxpayer‘s money. Full stop.“

Mediation statt Strafjustiz. Das nehme ich jetzt mit nach Moabit, wo ich täglich am Knast vorbei fahre. Neuerdings mit der Vorstellung, dass dort eines Tages ein Schild hängen könnte: Zimmer frei.

Quelle: starke-meinungen.de

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