Logbuch
WANDERVÖGEL.
Im Bayrischen erwische ich einen wunderbaren Biergarten, weil ich mal die Brauerei ansehen wollte, die in meiner Berliner Kiezkneipe das Hohenthanner Märzen ausschenkt, ein selten gutes Bier. Eine Gruppe englischer Touristen hatte offensichtlich schon eine Runde zu viel und begeistert sich am Gesang. Ich höre:
„I love to go a-wandering
Along the mountain track
And as I go, I love to sing
My knapsack on my back.“
Ganz offensichtlich eine Aneignung deutschen Liedgutes durch die perfiden Albinos. Es heißt nämlich eigentlich:
„Mein Vater war ein Wandersmann
Und mir steckt’s auch im Blut;
Drum wandr‘ ich froh so lang ich kann
Und schwenke meinen Hut.
Valeri, valera…“
Da mir Nachdenken darüber, was den Nationen so im Blut liegen könnte, nicht liegt, sinne ich darüber nach, was den englischen Nachdichter, der ja auch von Stock und Hut hätte schwärmen können, so am deutschen Ranzen fasziniert hat, dem Knappsack.
Zu meinen Zeiten als Pfadfinder hieß der Rucksack noch Affe und wies einen Besatz mit Fuchsfell auf. Heute sehe ich Knappsäcke in der Metropole allenthalben bei den famosen Fans von Guccis und Co. Zunehmend auch auf der Brust getragen. Die elende Männer-Handgelenk-Tasche scheint eine Renaissance zu erleben. Wenn nicht beim pubertären Prahl-Talahon so erlebt der Knappsack doch eine ganz und gar plausible Verwendung bei Radfahrern, die die Hände am Lenker zu halten haben. Aber auch ohne Drahtesel trägt man wieder auf dem Buckel. Mich erinnert es an den Tornister, mit dem wir den elenden Diercke-Atlas in die Schule schleppen mussten; der Gymnasiast hatte dann irgendwann die College-Mappe. Bei aufrechtem Gang hat man eigentlich zwei Extremitäten frei.
Fahrendes Volk hat keine Aktentasche. Überhaupt ist der Wandervogel eine gänzlich kitschige Romantisierung des Daseins von Zirkusleuten, Hausierern, Scherenschleifern und Kesselflickern, oft den Roma und Sinti zugeordnet, aber eben auch vielfältig bedingt. Im Englischen spricht man von irischen „Travellers“, um eine nomadisch lebende Gruppe auszugrenzen, die die Binnen-Migration stolz pflegen; man weiß halt nur nicht, wieviel davon unfreiwilliger Trotz ist. „Mit dem Hut in der Hand / Kommt man durch‘s ganze Land.“ Heutzutage mit dem Sack auf dem Rücken.
In der großen Stadt heißt der Wanderer Spaziergänger oder Flaneur. Da er überall einkehren kann, braucht er ernährungstechnisch keinen Knappsack mit Stulle und Trinkflasche. Trotzdem siehst Du keinen Touri ohne Wasserflasche, insbesondere die Herrschaften von Amerika. Oralfixierte Kindsköpfe. Komische Vögel. Ich bestelle mir noch ein Märzen. Das liegt mir so im Blut.
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BUFFALO BILL.
Wenn der Kapitalismus von der Börse gesteuert wird, beruht er auf Wetten. Nun steht der Wettsport, wenn es denn überhaupt ein Sport ist, bei uns in keinem guten Ruf. Ich sehe in schlechten Stadtvierteln Wettbüros mit einer dubiosen Klientel; von hier bis ins englische Ascot erstreckt sich eine ganze Welt. Aber man sollte nicht so tun, als hätten die Ladies und Gentlemen der britischen Oberklassen die Pferdewette erfunden. Jede antike Vase zeigt Rennen. Pferdewetten sind ein Kulturgut.
Ich habe mal in Gelsenkirchen ein Trabrennen veranstaltet („Aral Pokal“), in Köln den politischen Patron der Galoppierer getroffen, in Hamburg die Einladung eines Kaffeesacks genossen und mir Hoppegarten angetan, wo Loriot fragen ließ: „Ja, wo laufen sie, ja, wo laufen sie denn hin?“ Aber im Grunde habe ich nicht die geringste Ahnung, was den Turf so interessant macht. Außer vielleicht, dass, wer Pferdeverstand hat, dort reich werden kann. Was ja nur geht, wenn der Unverstand verbreiteter ist. Zugleich gibt es das Gerücht, dass es Glücksspiel sei.
Jedenfalls sind Wettschulden Ehrenschulden, also nur eine vage Obligation. Was der Cowboy nicht versteht: Ein Viehtrieb ist kein Pferderennen. Der Rennsport lebt aus seiner Regulatorik. Die Regeln haben streng zu sein, sehr streng, und jedermann beäugt die Befolgung kritisch. Dazu werden eigens Ferngläser getragen. Man könnte die strenge Observation der Jockeys auf jedweden Sport übertragen. Gewinner wird, wer siegen kann, obwohl er die Regeln befolgt. Damit sind wir wieder bei der Börse.
Was der Cowboy nicht versteht: Die Wildwestmanier, in der er Zölle verhängt und wieder zurücknimmt, mag ein Rodeopublikum begeistern, aber ruiniert den Sport. Ein Viehtrieb ist kein Galopprennen. Wo arabisches Vollblut antreten soll, darf kein Hilfssheriff wild um sich ballern. Der Dollar notiert übrigens schwächer. Der Euro steht ganz gut da. Und das ist, man hat es geahnt, genau die gleiche Geschichte.
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ORA & LABORA.
Beten und arbeiten, dazu sind wir, wenn gut aufgehoben, geschaffen. Stattdessen macht der Zweibeiner drei Wochen auf den Seychellen. Sinnlos, aber mit Syph. Und ab und zu Salmonellen.
Ein Freund schreibt mir aus seiner Haftanstalt. Das Novo-Virus ist ausgebrochen. Gut 15% der Insassen leiden an einer hochansteckenden Magen-Darm-Erkrankung. Es soll bereits Todesfälle geben, aber darüber schweigt die Anstaltsleitung; gestorben werde halt immer. Da der ganze Knast unter Quarantäne stehe, kämen die Leichensäcke ins Kühlhaus.
Früher hat man das anders gehandhabt: „Wir lagen vor Madagaskar
und hatten die Pest an Bord.
In den Kesseln, da faulte das Wasser,
und täglich ging einer über Bord.“
Gelegenheit, die Sache aufzuklären. Mein Freund sitzt zwar tatsächlich mit tausenden Menschen ein, sein Gefängnis ist aber ein sogenanntes Kreuzfahrtschiff, das mit einer manilischen Crew in tropischen Gewässern schippert, um die Touris zu mästen, und neuerdings ohne den lästigen Landgang.
Ein anderes Mitglied meines Bekanntenkreises unterhält eine fahrbare Einzelzelle mit Gattin, Gasherd und Chemieklo. Da die ersehnten Reiseziele für diese Wohnbüchsen geschlossen sind, haust man zu hunderten auf Abstellplätzen in Vororten. Ich weiß nicht mal, wie die motorisierten Wohnwagen korrekt heißen. Caravan, eine Kontraktionsform von Car und Van, eine Knastzelle auf einem Fiatchassis. Gibt es rauf bis zur Größe eines Reisebusses. Alle richten im Getto ihre Satellitenschüssel ins All, da außer TV-Gucken nix geht, im Vanverließ vor Verona.
Ich könnte weitere Absurditäten berichten. Den Jakobsweg in Cabrio etwa. Oder Überlebenstraining im Odenwald. Die Urlaubszeit zeigt, dass der Mensch mit dem Paradies nichts anzufangen weiß. Er schafft sich temporäre Höllen der Erholung. Bis er wieder ins Büro darf oder ans Band. Bald, Kinder, bald dürft Ihr wieder zurück!
Ich ahne, warum der Ruhestand für viele die Hölle ist. Ganzjährig Urlaub. Das sind dann Durchfall und Erbrechen wirklich mal eine willkommene Abwechslung.
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NATÜRLICHE INTELLIGENZ.
Seit mich Horden von hupenden Treckern in Berlin die Nachtruhe gekostet haben, sehe ich den Begriff der BAUERNSCHLÄUE mit anderen Augen. Das waren Horden von Subventionsempfängern, die ihr Privileg auf Staatsfinanzierung durch Nötigung zu verteidigen suchten. Die Hälfte des bäuerlichen Einkommens stammt aus meinen Steuern. Man könnte Dank erwarten. Stattdessen frech wie Dreck. Das war ziemlich dumm, was die da abgezogen haben.
Jetzt bin ich unter Städtern, wenn auch „da wo’s“ richtig Geld kostet, in den Schweizer Bergen. Ein neuerdings notorisches Thema der Elite ist AI oder KI, sprich automatisierte Informationsverarbeitung. Unter Experten hört man allerdings nicht immer Expertise. Manches ist dummes Zeug. Nicht mal bauernschlau. KI ist nicht autonom oder gar autark; sie ist das Gegenteil dessen.
Wenn die KI dichtet, sagt sie als nächstes, was laut ihrem Speicher am wahrscheinlichsten als nächstes gesagt wird. Sie kann in hohem Maße voraussagen, was vorauszusagen ist. Und tut es dann auch. Das ist so ungewöhnlich nicht, wenn man davon ausgeht, dass die gemeine NATÜRLICHE INTELLIGENZ nicht anders verfährt. Jedenfalls bei Minderbemittelten.
Mir geht es so mit der überwiegenden Mehrheit der Experten, die ich in DAVOS treffe. Nicht mal bauernschlau. Vorhersagbar. Sprechautomaten. Man beschäftige sich mit Edgar Alan Poes Geschichte von den Schachautomaten, der kein Automat gewesen sein konnte. Er hatte Intuition. Sehr selten hier, das Genie der Intuition. Vielleicht der KUNST und dem KÜNSTLER vorbehalten.