Logbuch
HIGHWAYMAN.
Man sieht die im Hellen. Die im Dunklen sieht man nicht. Das ist ein Spruch des Dichters Brecht aus seinen Arbeiten am Dreigroschenkomplex. Das wiederum ist ein Sujet aus dem 18. Jahrhundert, das Brecht sich aneignete, ursprünglich von einem John Gay. Der hatte eine Posse auf die Herrschenden geschrieben, die zeigt, dass das Milieu der niederen Verbrecher so funktioniert wie das der hochherrschaftlichen. Und umgekehrt. Er spricht von den „Gentlemen of the Road“, was man im Amerikanischen „highwaymen“ nennt. Der Ammi-Mythos. Die Western werden wahr.
Wie komme ich heute morgen darauf? Nun, das amerikanische Volk hält, egal, wie die Auszählung der Stimmen endet, den Großmachtpolitiker Donald Trump zumindest zur Hälfte für wählbar. Das Entsetzen darüber ist in Europa nur schlecht verborgen. Die alte Welt weiß jetzt nicht so recht, ob sie ihn gar einen Faschisten nennen soll. Das ist mir egal, weil es nicht um Wörter geht. Und weil er nicht Rumpelstilzchen ist; schon gar nicht, wenn in der größten Demokratie demokratisch gewählt. Ein wahrer und wirklicher Westernheld.
Reden wir daher nicht über Trump, reden wir über die Neue Rechte und jene Mächte, die sich ihrer bedienen. Man kann diesen Übergang von öffentlicher Figur auf eine politische Agenda und dann auf eine Vorherrschaft, schließlich auf große Geschäfte, diese sprichwörtliche Kaskade des Kapitals, doch sehr gut an der vielfältigen Identität des Elon Musk und anderer kalifornischer Oligarchen sehen. Das ist einiges im Hellen und sehr vieles sieht man nicht; darf es aber doch wohl ahnen.
Was singen sie heimlich?
„I was a highwayman
Along the coach roads, I did ride
With sword and pistol by my side
Many a young maid lost her baubles to my trade
Many a soldier shed his lifeblood on my blade
The bastards hung me in the spring of twenty-five
But I am still alive.“
Das singen sie heimlich. Im Halbdunkeln.
Die Herren der Welt machen es wie die Herren der Straße. Wir nähern uns Verschwörungstheorien, was dann falsch ist, wenn man sich gegen jene wendet, die im Licht stehen. Die Kulissenschieber suchen nie das Scheinwerferlicht. Wer gehört wirklich zu jenem Establishment, das Trump agieren lässt, der gewählt wird, weil er behauptet, er befreie vom Establishment. Hier Licht ins Dunkle zu bringen, wäre eine Aufgabe. Der ist eine simple Glosse nicht gewachsen. But I am still alive.
Logbuch
WIE IM DSCHUNGEL.
Das höchste Gut des Landlebens ist die gepflegte Langeweile. Man lernt diese bescheidene Idylle lieben. Der Deutschbanker Hilmar Kopper halt mal über den Westerwald gesagt: Hier schließt man keine Türen ab. Das war deutlich übertrieben, aber nicht so ganz falsch.
Eine junge Frau erzählt von ihrem Lebensgefühl in der Metropole; sie fühlt sich durch die öffentliche Verwahrlosung persönlich bedroht. Übergriffe lauern an jeder Ecke. Ein bloßer Versuch, die U-Bahn zu nutzen, endet am helllichten Tag in der förmlichen Flucht einer von Junkies grundlos Bespuckten. Das sagend hört man schon die Leugner aufheulen, die diese Halbwelt für mondän, sprich wünschenswert halten.
Ich fühle mich zunehmend an Südafrika erinnert, wo in den Städten dem Besucher geraten wird, nächtens nicht an roten Ampeln zu halten, da dann ein Überfall zur Entführung des Autos geradezu wahrscheinlich sei. Das kenne ich auch aus Südamerika, wo neben der Ampel eine Parkbank stand und die dort lungernden Herrschaften keine Anstalten machten, ihre Waffen zu verstecken; ich hörte die Sicherheit im Fahrzeug hinter uns durchladen. Man verstand und blieb brav sitzen. Ohne Sicherheits-Schatten ging man nicht aus.
Man lernt im Moloch der Metropole eine eigene Überaufmerksamkeit, wie sie ansonsten nur in der Wildnis angemessen ist. Das ist vielleicht der treffendste Satz, dass Berlin einem Dschungel gleicht, in dem man tunlichst Gefahren ausweicht, bevor sie überhaupt akut werden. Das färbt auf jene ab, die damit tagtäglich umzugehen haben. Ich meine nicht nur Polizisten und Sanitäter; schon die bloße Ansicht der Fahrkartenkontrolleure in den öffentlichen Verkehrsmitteln lässt in Abgründe schauen; weniger sozial als kulturell. Alta Schwede, was für Kaliber.
Von Mao Tse Tung gibt es den Satz, dass sich der Revolutionär wie ein Fisch im Wasser zu bewegen habe. So ähnlich verhält sich der Metropolenbewohner. Er weicht aus, bevor das Hindernis zur Bedrohung wird. Eine unwirtliche Gegend für Frauen und Kinder und wohl auch Alte. Angenehm ist das nicht, im Bewusstsein ständiger Gefahr zu leben. Das macht ja das Landleben so wertvoll.
Nun zieht es gerade die Dorfschönheiten in die große Stadt mit den vielen Lichtern. Aber das ist, wie Kipling sagt, eine andere Geschichte. Sicherheit ist ein soziales Gut, das der Staat vor allem jenen zu bieten hat, die sie sich nicht aus der privaten Brieftasche leisten können. Es gibt ein bürgerliches Recht auf Schutz.
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KNAST AUF RÄDERN.
Wenn der Anhänger des Campings nicht nur einen Anhänger hat, sondern dieser gar ein eigenes Fahrgestell mit Motor, dann nennt man das wohl TRAILER. Es handelt sich um eine fahrbare Wohndose. Meist mit Chemieklo und Gaskocher. Die Wohndosen gibt es spärlich, aber auch herrlich, vom Bulli rauf bis zum Luxus-LKW. Mir ist alles recht, auch ein Gelsenkirchener Barock auf Fiat-Chassis, das mit Tenpo 100 auf der rechten Spur rumdümpelt. In meiner Welt soll jeder nach seiner eigen Facon selig werden.
Mir fällt aber auf, dass all diese Schüsseln ihr Heck mit Sinnsprüchen zieren. Man erfährt, dass die Besatzung unterwegs sei. On the road. Echt jetzt? Dass man die Rente genieße. Ist das wahr? Und dass man im Hotel nur zu Gast sei, in der Wohndose aber zuhause. Die Besatzung nennt ihre Kosenamen oder den der Hunde; das weiß man nicht so genau. Bildwitze, unbehändte Karikaturen. Alta Schwede.
Woher der Legitimationsdruck? Die Karre kostet mindestens 200k; dafür kann ich zwanzig Jahresurlaube ins Hotel. Mit Mitte siebzig Lenzen eine kühne Kalkulation. Man kann das auch anders rechnen. Boulevardnotorisch sind die sehr attraktiven Damen russischer Zunge an der Hotelbar, die der Plebs „Tausend-Dollar-Nutten“ nennt. Rechnen wir das mal in Euro. Statt der Wohndose könnte man sich 200 dieser Professionellen leisten. Damit wäre man ja 30 Wochen beschäftigt, vorausgesetzt man würde jeden Abend wollen; sprich wollen können. Wer sich an das Luthersche Maß „In der Woche zwie/ das ist des Weibs Gebühr“ hielte, der hätte geschlossene zwei Jahre abzudienen. Das ist auch für einen 75jährigen rüstigen Rentner mal ein Programm.
Aber der Boulevardvergleich geht fehl. Das Trailertum ist familiär angelegt. Es reisen jene so mit ihren Gatten, die schon heimlich auf das Witwentum hoffen. Und die Abstellplätze vor den touristischen Attraktionen sehen ja auch aus wie Lager; wären die Räder nicht, könnte man von einem Knast mit Doppelzellen sprechen. Jeweils mit einer ungeduldig wartenden Witwe. Folglich verstehe ich die Entschuldigungssprüche auf den Campern. Die Jungs haben sich halt dramatisch verrechnet und trösten sich nun mit den albernen Ausreden selbst. Eigentlich bitter.
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KAMERADEN.
Rechtsanwälte haben sie. Die Mafia hat sie auch. Ärzte reden sich so an. Die KOLLEGIALITÄT, ein verhalten freundschaftlicher Umgang innerhalb der eigenen Gruppe. Früher hieß das KAMERADSCHAFT.
In einer Einladung der Awo (Arbeiterwohlfahrt) zu einer kleinen Rede lese ich einen Begriff, den ich hier gar nicht vermutet hätte. Eine Gründungsmutter dieser karitativen Organisation sprach dereinst vom Ideal der KAMERADSCHAFTLICHKEIT. Jetzt müssen alle Neoliberalen ganz stark sein: das ist sozialistisches Gedankengut von vor hundert Jahren. Es geht um das, was die Franzosen BRÜDERLICHKEIT genannt haben. Ein komischer Begriff, so als sei das Familienleben immer und überall freundschaftlich. Ich kenne mehr feindliche als einander zugewandte Brüder. Und was ist mit den Schwestern?
Das Wort vom Kameraden entstammt der Militärsprache. Und so zweischneidig ist es. „Die Kameradschaft ist dem Soldaten befohlen“, heißt es bis heute. Das mag KOLLEGIALITÄT unter den Uniformierten meinen. Kann aber eben auch eine KONFORMITÄT meinen, die das eigene Gewissen hintanstellt. Als solche gilt sie dann auch in paramilitärischen Gemeinschaften bis hin zur ORGANISIERTEN KRIMINALITÄT. Warum die vermeintlichen Soziokulturen der Mafias bei uns Folklore sind, wissen ohnehin nur die Götter und Petra Reski.
Ursprünglich war Camera das Wort für eine STUBE, eine beheizte Schlafgelegenheit, dann für die Gemeinschaft der dort zwangsweise Zusammenschlafenden, so wird es zu einer SEKUNDÄRTUGEND der „Gezogenen“ oder Verschworenen, einer horizontalen Bindung. Von oben nach unten, sprich vertikal, gilt das Gebot des GEHORSAMS, untereinander, sprich horizontal, das der Kameradschaft. So organisiert sich in militärischen Gemeinschaft die Entantwortung des Einzelnen, die das Töten des Feindes erleichtert. Heute tauscht der Begriff im rechtsradikalen Jargon wieder auf; es sei gewarnt.
Was mich jetzt aber fasziniert: Dies war vor hundert Jahren auch ein Leitbegriff der ARBEITERBEWEGUNG und anderer Reforminitiativen. Ich lese von der KAMERADSCHAFTSEHE als einem Konzept der Gleichberechtigung der Geschlechter, sprich der Emanzipation der Frau. So ist es dann wohl auch in das Selbstverständnis der „Arbeiterwohlfahrt“ eingegangen. Es meint dann da SOLIDARITÄT und einen fürsorglichen Umgang mit denen, denen es nicht schon an der Wiege gesungen wurde. Die Entdeckung der Solidargemeinschaft.
Wie vieles andere auch, die NAZIS haben dies missbraucht und in das totalitäre Konzept der VOLKSGEMEINSCHAFT überführt, eine rassistische Konstruktion, die dann auch den Völkermord rechtfertigen sollte. Zu bitter, um zu kleiner Münze gemacht zu werden, aber eben auch nicht zu vergessen. Endpunkt der Kollektivierung des Individuums. Detail aus dieser antibürgerlichen Vervolksgemeinschaftung: Das SIE wurde als Anrede verpönt und sollte durch ein allgemeines DU ersetzt werden, berichten von den Nazis zwangsbeschulte Zeitzeugen.