Logbuch
AN DER QUELLE SASS DER KNABE.
Der Sommer erinnert auch grimmige Germanen daran, wie schön ein Leben sein kann, das sich nicht vor den Garstigkeiten der Natur schützen muss. Da werden auch die Höhen, wo sonst der Wind so kalt weht, zum Land, in dem die Zitronen blühen. In diese Idylle hinein ragen Botschaften aus der Politik, die verstimmen. Ich meine nicht den wiedererwachten Geist der Rüstung, sondern Energiefragen. Obwohl das zusammenhängt, aber das kriegen wir erst später.
Der Ausbau der Kernenergie ist in meinem Vaterland endgültig gescheitert, da es die Industrie selbst nicht geschafft hat, Fragen der Akzeptanz in einer Bevölkerung zu lösen, die dem Hiroschima-Mythos nachhing. Ich darf das sagen, da ich dabei war, als der Tschernobyl-Schock die Nuklearen nicht lehrte, gar nichts. Früher Wackersdorf. Jetzt Urananreicherung.
Der grüne Traum, dass die Sonne keine Rechnung schreibe und der Wind Gottes gratis Morgengabe sei, ist zumindest unterbrochen. Das hat der Dilettantismus um das Diktat der Wärmepumpe dann doch gebracht. Zudem fehlte es am Willen zum Netzausbau. Marode Infrastruktur. Wie kann das Nationen passieren, die die Hanse groß gemacht hat?
Man müsste eigenes Öl & Gas haben, wie es der Herr den Norwegern geschenkt hat oder Laufwasser. Dann gälte, einen klugen Staatskorporatismus vorausgesetzt, dass Regen Segen ist. Oder Flüsse müsste man am Fließen hindern können. Think Big. Zumindest Bigge, wie man es ja mal gekonnt hat. Oder ging es bei der Biggetalsperre um Trinkwasser? Egal. Das nächste knappe Gut.
Jedenfalls streichen Pat und Patachon, die Herren Merz und Klingebiel, in ihren taubenblauen Anzügen tumb die Wahlkampfversprechen des billigen Stroms. Bei den Tankstellen kann man sich ohnehin darauf verlassen, dass sie jeden Cent holen, der noch geht. In God we trust, the rest pays cash. Und der russische Hahn ist dauerhaft dicht.
Unter den Pensionären sehe ich jene modernen Nomaden, die heimatlos dem Sommer hinterher reisen und von mediterranen Inseln grüßen, bald sogar aus Asien oder vom Mars, fragen Sie Musk. Das scheint mir wie Verrat. Ich genieße den Sommer und blicke wehmütig auf den Kamin, der gerade Pause hat. Bald schlagen wir wieder Holz, auf dass die Buche uns winters wärme. Öl im Tank.
Man sinniert im Sommer über seltenes Glück. Frieden mit der Natur und dem Nachbarn. Und könnte es sein, dass es bei fast allen kriegerischen Händeln darum geht, wer wem den Hahn zudreht? Ich frage für einen Freund.
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EIN ALTES MÄDCHEN.
Der Flughafen in Venedig ist durch neunzig Privatjets verstellt. Ich bleibe im Land und nähre mich redlich. Auf dem Weg von den Höhen des Westerwalds ins Rheintal in die famose TRAUBE zu Vallendar gibt es diese Kurve mit dem ersten Blick ins Tal auf den trägen Strom, den gerade das französische Brackwasser der Mosel noch behäbiger gemacht hat, wo ich mich immer frage, was meine Nation an dieser Plörre so begeistert hat. VATER RHEIN haben sie ihn geheißen und vom DEUTSCHEN ECK geschwärmt. Wie piefig. Ich stehe ja eher auf Frauen.
Ein paar Kilometer flussaufwärts hat der von mir sehr geschätzte HEINRICH HEINE seine Wehmut so formuliert:
„Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Daß ich so traurig bin;
Ein Mährchen aus alten Zeiten,
Das kommt mir nicht aus dem Sinn.“
Es geht dabei um ein altes Mädchen, eine gewisse Lauren Leih, der die Gefährdung der Schifffahrt zugerechnet wird, dort, wo der Vater Rhein noch ein wilder Geselle ist und sich durch Gebirge zu zwängen hat, gefährliche Klippen umspülend. Der alte Mythos sucht den Lotsenfehler des Schiffers der Schönheit auf dem Berg zuzurechnen. Eigentlich ging es der Wehmut Heines aber um das NEIN einer anderen Lauren Leih, eine Hamburger Dern namens Amalie. Alte Märchen um begehrenswerte Mädchen.
Apropos Mädchen und Märchen. Dass das SPD-Präsidium der Gesine Schwan die Redezeit gekürzt hat, um sich ausführlicher der Biografie von Bärbel Bas widmen zu können, das verstehe ich. Keine Schwäne zu preisen, steht einer Partei wohl an, die Schwanengesang nicht mehr ertragen will, da Walsumer Entengeschnatter ihr Herz wärmt. Da sind Größen wie Peter Glotz nur noch Märchen aus alten Zeiten. Ich bin deshalb nicht bas erstaunt; ich kenne den Ton aus dem Pott: Walsum ist halt nicht Venedig. Lauren, leih mich Dein Herz!
Womit wir in der Lagunenstadt sind, über die ernsthaft zu reden, der fabelhaften PETRA RESKI vorbehalten ist. Auch ein Mädchen aussem Pott. Mir bleibt nur eine einzelne Irritation von Venedig in Erinnerung. Die Mitfünfzigerin Lauren Leih, die hier gerade einen Deo-Roller aus Weißkirchen mittels MÄRCHENHOCHZEIT ehelicht, hat das Antlitz einer Zwanzigjährigen und Hände, die gut und gerne neunzig sind. Bei dem ganzen Aufwand mit der MÄRCHENHOCHZEIT und den einschlägigen Oberweiten hätte man das doch einheitlicher gestalten können.
In der TRAUBE zu Vallendar übrigens rosa Tafelspitz mit Pfifferlingen und eine ganze Seezunge in Butter gebraten zu wunderbaren Kartoffeln. Dazu Juffer Sonnenuhr. Sterneküche in angenehm unaufgeregtem Ambiente. Sehr fein. Empfehlung.
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MUT ZUR LÜCKE.
Eine große Rede für eine gute Sache, die Zustimmung findet, vielleicht sogar Begeisterung erzeugt, die ist nie und nimmer vollständig. Wie leidet doch ein Publikum, wenn seine Geduld durch eine endlose Aufzählung strapaziert wird. Längst ist die Absicht des Vortragenden erraten und das Anliegen unter Umständen sogar gebilligt, da kommt der Rhetor noch mal vom Hölzken auf‘s Stöcksken.
Ohne ein harsches Urteil über den Gast fällen zu wollen, komme ich zu diesem Gedanken um den Segen der Selektion, als ich im Industrie Club zu Düsseldorf einem Granden des Montanen lausche. Ja, das ist jener Ort, an dem Hitler die Thyssens seiner Zeit für die Aufrüstung gewann; nicht jüngste, die davor. Es spricht heute der Chef der Salzgitter AG, ein gediegener Mann, zuvor der Wind-Mops von Vattenfall, der dem „grauen“ Stahl eine Zukunft geben will als grünem und dabei dem Wasserstoff als Medium zu huldigen hat. Die Franzosen halten das für Unsinn, trotz Staatsknete; aber was wissen die schon.
Es muss hier für alle revierfernen Seelen eingeworfen werden, dass der aus Steinkohle gewonnenen Koks in der Stahlerzeugung nicht dem Heizen dient, sondern als Reduktionsmittel von Nöten ist. Einfach gesagt: Er ist anders als bei Omas Einzelofen nicht durch eine Wärmepumpe zu ersetzen. Deshalb ist in den ehemaligen Hüttenwerken Hermann Göring künftig dem Elektrolysör nichts zu schwör. Das aber ist, wie Kipling sagt, eine andere Geschichte.
Der Vortragende bemüht sich um alle Argumente für einen grünen Stahl an der Leine und der Peine, auch das der sozialen Verelendung, wenn Industrie schlicht und brutal wegbricht. Und das ist ein sehr ernster Hinweis; wer wüsste das nicht besser als ein Junge von der Ruhr. Heute schon schreit der Niedergang aus Essen, Bottrop, Gelsenkirchen. So dann auch in Salzgitter, das sie vor Ort schon jetzt Salzgetto nennen. Aber es war an diesem Abend wohl doch ein Argument zu viel.
Dabei erinnere ich mich an einen Vortrag zur Elektromobilität, den ich vor Jahren andernorts in Niedersachsen hörte, als noch nicht so ganz klar war, was die kalifornischen Oligarchen so frühstücken und warum sie es durch die Nase tun. Es wurde nach vierundfünfzig anderen Argumenten zugunsten des E-Autos auch noch angepriesen, dass ich die irgendwann lendenschwache Megabatterie ja anschließend, wenn zum Ampelspurt zu schwach, in den Keller meines Hauses nehmen könne und dann mit Balkonsolar füttern, um die Pumpe im Goldfischteich zu betreiben oder das Wasser für die Kois zu wärmen. Das sollte den notorisch drohenden wirtschaftlichen Totalschaden der E-Schüssel versüßen. Ein Argument zu viel.
Wer den Mut zur Lücke gefasst hat, wird durch den Charme der Ellipse getröstet. Diese Finesse der Rhetorik spart bewusst aus, was das Publikum dann zu ergänzen hat; worüber es sich freut, so es gelingt. Wem das zu risikoreich ist, der ersetze das Mittel durch ein Ziel. Mit diesem rhetorischen Trick erspare ich mir Details und andere Umständlichkeiten des praktischen Lebens und verlocke das Publikum, in den Himmel zu blicken. Im Englischen prägnant „pie in the sky“ genannt.
Beispiel? Weltfrieden durch deutsche Elektro-Panzer aus grünem Stahl.
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MASTER OF DESASTER.
Ein alter Film-Mitschnitt eines Empfangs mit Lady Thatcher und Dr. Helmut Kohl. Mit Ton; man kann lauschen. Dieser in Pfälzerdeutsch mittels Übersetzerin selbst im Zwiegespräch deklamierend, diese wie immer eine halbe Oktave zu hoch flötend; die eiserne Lady auf Zuckersüß. Dann aber die Queen, Mitterand in bestem Französisch grüßend, in klarer Ansprache an den amerikanischen Außenminister stellt sie die epochale Frage (thematisch zu einem Dritten, der gerade vom englischen Außenminister Edward „Ted“ Heath verhackstückt wurde): „Is he master of his situation?“ Großartiger Gedanke. Nicht nur HERR DER LAGE, das ist etwas anderes, sondern „Herr seiner (!) Lage“. Ich bin begeistert. Was für eine kluge Frau!
Welch ein Lebensziel: Herr seiner eigenen Situation zu sein. Was ja auch eine andere Frage klärt: Was man tun kann, wenn man sich getrieben fühlt. Bedrängt. Verbittert. Antwort: die Situation ändern. Wenn ich nicht mehr Herr der Lage bin, dann muss die Lage halt dran glauben.