Logbuch
MÄRCHENERZÄHLER.
„Ach, wie gut, dass niemand weiß, wie ich heiß!“ Neues vom Märchenonkel. Oder von der wunderbaren Prinzessin Scheherazade aus Tausendundeiner Nacht. Oder der Professorin für Geschlechtergerechtigkeit in der angewandten Mathematik. Oder aus der grundgrün gestimmten ZEIT.
Wir sollen angeblich im Zeitalter der Märchen leben, vor deren Gift uns Faktenchecker bewahren wollen. An diesem angeblichen Zustand des Zeitgeistes stört mich so gut wie alles. Viele üble Märchen über Märchen. Go woke, get broke.
Zu allererst befremden mich politisch ambitionierte Menschen, die die Wahrheit zu ihrer Profession machen. Sie gefallen mir in keiner Ausprägung, weder als Investigativjournalist oder zivilgesellschaftliches NGO noch als Spanische Inquisition. Man entwickelt bei einigem historischen Studium ein Gefühl für Märchen, die sich als höhere Wahrheit verstehen. Sprich eine tiefe Abneigung.
Die Brüder Grimm wollten dem zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf den Grund gehen und sammelten, was sie Kinder- und Hausmärchen nannten. Dabei nährten sie die Illusion, uralte Bäuerinnen hinter‘m Herd belauscht zu haben, als diese ihre Enkel und Urenkel in die mythische Welt entführten. Archaische Wahrheiten. Das war idyllisch, aber leider gelogen.
Die Geschichten stammten von gebildeten Fräuleins und gehobenen Hausmädchen frischen Alters, die überambitioniert nacherzählten, was ihnen zuvor des Knaben Wunderhorn so vermittelt hatte. Pun intended. Zum Teil waren sie nicht mal hessischen Ursprungs, wie die Göttinger Grimm-Familie, sondern zugewanderte Hugenotten. Man referierte die romantische Trivialliteratur seiner Zeit, die sich archetypisch gab.
Daran erkennt man Märchen, dass sie in fremdem Gewand ganz alte Mythen zu neuem Leben erwecken. Wenn es zu gut passt, stimmt was nicht. Ich habe nie geglaubt, dass COVID von Fledermäusen stammt, weil klar als Märchen kenntlich. Hätte man behauptet, dass Bambis die Quelle, wäre ich ins Zweifeln geraten. Aber nicht bei so einer Graf-Dracula-Klamotte. Das passt einfach zu gut.
Wir erzählen uns in den Märchen in jeweils neuem Gewand die Grundmythen, die unsere Kultur ausmachen; neudeutsch schwätzt jeder Provinzpolitiker neuerdings von Narrationen. Wir sind Nacherzähler, wenn wir gut zu erzählen wissen. Deshalb frage ich Studenten, die etwas von Storytelling plappern, ob sie bibelfest sind oder ihren Homer kennen. Oder KHM. Das ist der Code für Kinder- und Hausmärchen.
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YES CHEF!
Wenn einer das Sagen hat, dann ist er der Chef. Bei dem englischen Fernsehkoch Gordon Ramsay („fuck“) kann man sehen, dass in einer Küche die Brigade seine Ansagen mit einem lauten „Yes, Chef!“ beantwortet. Jede seiner Ansagen. Von jedermann. Die Küche als Modell der Welt.
Wie sieht das in einem Kabinett aus, der Mannschaft, die unser Land führt, jedenfalls die Politik? Von dem gescheiterten Kanzler Olaf Scholz wissen wir, dass die FDP-Köche in seinem Küchenkabinett nicht so besonders begeistert von seinen Führungsfähigkeiten waren und maulten. Darum hat er bei der Ampel das Licht ausgeschaltet und sich über die Renitenz seines Sous-Chefs Lindner öffentlich beklagt; ein klares Zeichen der Schwäche.
Der eigentliche Schwächling in der Ampel aber war der „Chef BK“, ein braver Hausmeier namens Wolfgang Schmidt aus Hamburg. Man sagt ihm nach, er habe sich stets bemüht. Eigentlich aber war er „lost in detail“. Der Chef des Bundeskanzleramtes ist der eigentliche „captain of the ship“, nicht nur in der Kombüse, auch auf der Brücke; auf ihn hört die Brigade. Übrigens ist er auch Geheimdienstkoordinator. Ich habe dort wahre Genies gesehen, ehrliche Buchhalter und veritable Trottel.
Meine Lieblingsmetapher für den „Leiter BK“ ist die, die sich den Engländer Sir Peter Mandelson unter Premier Tony Blair verdient hatte: „The Prince of Darkness“. Ich könnte jetzt einige der deutschen Tölpel mit Namen nennen, tue es aber nicht, weil ich bemerkt habe, dass alle ehemaligen BK-Chefs sich untereinander mit Respekt behandeln, egal welche Grütze sie gekocht haben, als noch im Amt.
Die wissen zu viel. Sie haben die dunkle Seite der Macht gesehen; das prägt, wenn Du jede Woche die Guillotine in den Hof ziehst, um einen Unschuldigen zu köpfen. Wer das nicht tut, weil er lieber Leckerlis verteilt, der sollte Bundespräsident werden, aber nicht Chef-BK. Alles klar? Did I make myself clear? Yes, Chef!
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DIE AUFTEILUNG DER WELT.
Man wundert sich über die Töne aus dem Reich der Neuen Rechten in den USA zur Rollenverteilung in der Welt. Die Fans der Tea Party klingen wie Wiedergänger längst vergangener Zeiten; sie klingen wie ihre eigenen Kolonialherren, von denen sie sich 1773 freimachen wollten. Das war ja wohl die Bostoner Tea Party. Aber Geschichte wiederholt sich; leider keine bloße Farce. Deshalb der Reihe nach.
In der kolonialen Weltsicht gibt es kein vielseitiges Miteinander der Völker dieser Erde. Es gibt den Rest der Welt nur als einen bunten Zoo, in dem man sich nach Herzenslust bedienen kann. Das Recht auf Ausbeutung beschränkt sich nicht auf exotische Früchte; es schließt die Bodenschätze ein und am Ende die Menschen als Sklaven. Gleichzeitig hat man immer schon seine Rolle als Kolonialherr verklärt. Am erfolgreichsten wohl die Engländer im Konzept des edlen und daher sanften Mannes, dem „gentleman“.
Dabei hat man nicht alles spätere Übel erfinden müssen; oft wurden nur örtliche Unarten zum System erhoben und zur Weltherrschaft gebracht. Das gilt für das Opium wie den Sklavenhandel. Man langte zu, weil man die fremde Welt so angelegt sah, als Gelegenheit zur Bereicherung. Was der Portugiese einmal in Händen hat, sagte ein Sprichwort, das gibt er niemals wieder her. Und der Moff!
Mynheer Peeperkorn ist eine literarische Figur bei Thomas Mann, übernommen aus einem gängigen Vorurteil seiner Zeit, dass die reichen Holländer ihren Wohlstand dem Gewürzhandel mit den Molukken verdankten. Das mag heute amüsant finden, wer am Sonntag vom Niederrhein oder aus dem Revier ins Nachbarland rüberfährt, um zu shoppen. Denn natürlich haben die Supermärkte dort am Sonntag auf. Die Moffen sind eine Nation der Händler und für ihre Geschäftstüchtigkeit bekannt.
Das begann schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts, wenn nicht früher. Damals beherrschten die Welt zwei kleine Nationen, die Flamen und die Portugiesen. Sie brachten das Opium in die Welt, diese Drecksäcke. Ich lese SMOKE AND ASHES, eine Geschichte des Opiums, von einem kundigen Bengali verfasst, den ein Zorn auf die „Vereenigde Oostindische Compagnie“ treibt; der ostindische Gewürzhandel als Motor des Kolonialwarenhandels. Später steigen hier in großem Stil die Briten ein; die „confessions of the English opium eater“ werden Weltliteratur. Wir haben Zeugnisse von George Orwell und Rudyard Kipling, die beide vor Ort waren.
Opium diente eingangs zur Unterwerfung der dazu verführten Völker und dann als Handelsgut. Natürlich war es angenehmer, sein Schiff mit dem weißen Poppy-Gold zu beladen als mit Bergen von lebenden Leibern. Leider vergleicht mein Autor die Opiumkriege, die bis ins 18. und 19. Jahrhundert gingen, mit dem heutigen Vorgehen von Big Pharma. Das halte ich für überzogen. Aber so ganz sicher sein kann man nicht. Denn das Koloniale hatte immer eine doppelte Tugend: Die fürchterlichen Dinge draußen in der Welt zu tun und dabei zuhause gut auszusehen. Der Tee in der Tasse des Gentleman hat nie berichtet, wie er da wohl hinkam.
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HATE SPEECH.
Lese eine Besprechung einer Biographie des amerikanischen Schriftstellers ROBERT STONE. Woher auch immer dieser Name in meinen Ohren klingt. Dort heißt es: Seinen Vater müsse es gegeben haben, weil es sonst ihn ja nicht gebe; mehr wäre über den aber nun wirklich nicht zu sagen. Seine Mutter sei eine Irre gewesen, die wahrscheinlich nur einmal Verkehr gehabt habe, nämlich anlässlich seiner Empfängnis. Oh ha. Es gibt einen Grad der üblen Nachrede, der schon aus sich selbst unannehmbar ist. Da würde die Erörterung, ob die Schmähung stimme oder stimmen könne, schon eine Anerkenntnis darstellen, die solch ein Hass prinzipiell nicht verdient hat. Dann sagten zurecht die Antiken: Anathema est. Das ist kein Thema. Man schweige.